Der Umgang der Bundesregierung mit dienstlichen Mailfächern des heutigen Kanzlers Olaf Scholz (SPD) aus seiner Zeit als Bundesfinanzminister stößt auf breite Kritik.
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, Sarah Ryglewski, hatte am 4. Dezember im Bundestag erstmals bestätigt, dass ein solches Postfach "in den Systemen" des bundeseigenen Dienstleisters ITZ Bund "bis heute vorhanden" sei. Zuvor hatte die Bundesregierung wiederholt ausweichend auf Fragen nach den Scholz-Mails reagiert.
Der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer, auf dessen Fragen Ryglewski im Bundestag mit ihren Aussagen reagiert hatte, äußerte jetzt scharfe Kritik: "Hier wurde mit uns über Monate hinweg ein Versteckspiel getrieben", sagte er der "Welt". "Wir müssen davon ausgehen, dass der Inhalt dieser Mails brisant ist."
Ryglewski hatte im Bundestag zudem erklärt, dass die Mails dem Datenschutz unterlägen. "Grundsätzlich" habe nur der heutige Kanzler Zugriff. Auch diese Aussage sorgt jetzt für Widerspruch.
Der Archivrechtler Thomas Henne bezeichnete die Aussagen von Ryglewski als "bestürzend". Das dauerhafte "Einfrieren" eines Mailaccounts, "damit nur der Inhaber des Accounts noch Zugriff hat", sei "eine im deutschen Recht nicht vorgesehene Form der Eigenarchivierung", so der Experte der "Welt". Zudem bleibe in den Ausführungen der Staatssekretärin offen, ob Scholz im Rahmen des ihm gewährten Zugangs auch die Möglichkeit habe, nachträglich Mails zu löschen, was aus Hennes Sicht "evident rechtswidrig wäre".
"Wenn sich die Mails wie aktuell in einer Stelle der laufenden Verwaltung befinden, ist der Zugang nach den Informationsfreiheitsgesetzen möglich", bekräftigte Henne. Etwas vorsichtiger äußerte sich ein Sprecher der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Louisa Specht-Riemenschneider, in der "Welt". "Sofern das E-Mail-Postfach amtliche Informationen beinhaltet", so der Sprecher, bestehe "grundsätzlich ein Anspruch nach IFG", soweit keine Ausschlussgründe, etwa wegen des Datenschutzes, einschlägig seien.
"Bezüglich der korrekten Veraktung und anschließenden Archivierung von Vorgängen gibt es offenkundig weiterhin großen Handlungsbedarf", kommentierte der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz den Vorgang.
Auch zwei Anwälte, die seit Jahren Auskunftsfälle behandeln, bejahten eine Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes im Fall der Scholz-Mails aus dem Finanzministerium. "Wenn der ehemalige Finanzminister sein dienstliches Mailpostfach - wie es den Vorschriften entspricht - zu dienstlichen Zwecken verwendet hat, dann handelt es sich bei den E-Mails um amtliche Informationen", sagte der Berliner Anwalt David Werdermann: "Das heißt jede Person hat nach dem Informationsfreiheitsgesetz grundsätzlich einen voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu den E-Mails."
Ähnlich sieht es der Pinneberger Anwalt Wilhelm Mecklenburg, der selbst Co-Autor eines juristischen Kommentars zum IFG ist. Die Mail-Korrespondenz des Bundesfinanzministers unter einer amtlichen Adresse bestehe sicher ganz überwiegend aus amtlichen Informationen, sagte auch er. "Hier ganz pauschal zu sagen, wegen des Schutzes personenbezogener Daten dürfte nur dem Autor der Mails informatorischer Zugang gewährt werden, ist sicher falsch", urteilt der Experte.
Das Abgeordnetenbüro von Olaf Scholz, das Bundesfinanzministerium sowie das für das Kanzleramt zuständige Bundespresseamt ließen aktuelle Fragen zu den Vorgängen bisher unbeantwortet.